Klaus Ritter, Doris Tjarks und Christian Bolinius leiten neben weiteren Helfenden die Nordsee-Sportgruppe. (Foto: AWO Weser-Ems – Superidee/Lisa-Marie Eden)
Friesland. Den ganz eigentümlichen Geruch einer Turnhalle verbinden nicht alle Menschen in ihrer Erinnerung sogleich mit Freude an Bewegung. Bei der AWO Nordsee-Sportgruppe ist das jedoch anders – hier dreht sich alles um ein starkes Wir-Gefühl und eine ordentliche Portion Spaß.
Auf die Plätze! Fertig! Peng! Das Signal der Startklappe schallt durch die Sporthalle. Zusammen mit dem Team aus Übungsleitenden und Helfenden trainiert hier und heute die AWO Nordsee-Sportgruppe. Wofür genau? Nun, die Ziele sind so unterschiedlich wie die Teilnehmenden selbst. Einige kommen, weil ihnen der Rehasport ärztlich verordnet wurde. Andere sind einfach so dabei – schlicht aus Spaß an der Freud‘. „Sport bewegt Menschen“, sagt Doris Tjarks im mehrdeutigen Sinne. Sie ist hauptamtliche Geschäftsführerin des AWO Kreisverbandes Wilhelmshaven-Friesland, parallel leitet sie ehrenamtlich diese AWO Nordsee-Sportgruppe. Den Teilnehmenden geht es nicht allein um möglicherweise etwas eingerostete Knochen, sondern vielmehr um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – und das ganz ungezwungen, frei. Immer mit einem Lächeln im Gesicht.
Nichtsdestotrotz bietet die Nordsee-Sportgruppe Menschen mit Behinderung viele Bewegungsmöglichkeiten an – von der Leichtathletik übers Kegeln bis zum Schwimmen ist das Portfolio ein breites. Tjarks und ihr Team sind froh, dass sie in der Sporthalle in Wilhelmshaven viel Platz zur Verfügung haben: „So können wir das Angebot sehr flexibel gestalten und alle kommen zu ihrem Recht.“ Während die einen sich vielleicht nur ein bisschen bewegen wollen, üben andere für das Schwimmabzeichen oder trainieren gar für Wettkämpfe.
Der Höhepunkt der Woche
Das Lächeln im Gesicht – das war auch der Auslöser für die Entstehung dieser ungewöhnlichen Sportgruppe. Der Adoptivbruder von Doris Tjarks war selbst Mitglied einer Parasportgruppe, sie erinnert sich noch gut an die weithin sicht- und hörbare Freude, wenn sie ihren Bruder beim Training besuchte. Für viele Teilnehmende war diese Sportstunde Höhepunkt der Woche.
Und so kam es, wie es kommen musste: Als das hier damals federführende Ehepaar sich zurückziehen wollte und die Trainingsgruppe damit vor dem Aus stand, befand Doris Tjarks: „Das geht gar nicht!“ Also bot sie als ausgebildete Fachkraft für Rehasport an, einen Wochentermin zu übernehmen. „Und na ja, wie das so ist, wenn man den kleinen Finger reicht …“, schmunzelt sie heute. Denn nur knapp drei Monate später trug sie Verantwortung für die gesamte Gruppe. Letztere besteht nun seit acht Jahren. Kamen anfangs noch zehn Personen zum Training, trainiert das Team um Tjarks heute mit über 70 Menschen pro Woche.
Die Sportstunden beginnen immer mit genügend Zeit – um anzukommen und sich auszutauschen, schließlich „geht es auch um das Miteinander!“ Die folgenden Sporteinheiten sehen indes sehr unterschiedlich aus. Je nachdem, was gerade gefragt und gewollt ist. Apropos: Wie in starken Gemeinschaften üblich, gibt’s natürlich auch hier Gruppenfahrten und Ausflüge beispielsweise zu Sportfesten wie in Aurich und Bremerhaven – oder sogar bis zu den deutschen Meisterschaften in Erfurt. Nur bis zu den derzeit in Paris stattfindenden Paralympischen Spielen hat es (noch) nicht ganz gereicht …
Freude, die ansteckt
Ob Reha- oder Leistungssport: Die Freude im Gesicht der Sportler*innen steckt auch andere Menschen an. Zum Beispiel beim Schwimmtraining im öffentlichen Schwimmbad. Vor ein paar Wochen rief ein Fremder an und bedankte sich mit einer Spende für das dortige Engagement. Er hatte die Nordsee-Sportgruppe am Tag zuvor im Schwimmbad gesehen und war begeistert von der guten Stimmung. Auch auf Ausflügen wird die Freude gesehen. Neulich spendete eine Frau – während der Rastpause auf einem Parkplatz – spontan 50 Euro, „damit die Gruppe gemeinsam Eis essen kann“.
Soziale Integration und gesellschaftliche Teilhabe auf der einen Seite, Gesundheit und Wohlbefinden auf der anderen: Der Sport in der Gruppe fördert Koordination, Kondition und vor allem die Beziehungen zu anderen Menschen. Gemeinsames Bewegen baut soziale Isolation ab und stärkt das Selbstbewusstsein. Gerade die häufigen Ausflüge und die Teilnahme an Wettkämpfen sind für die AWO Nordsee-Sportgruppe wichtig: Diese Sichtbarkeit baut Barrieren und Vorurteile ab, trägt so zu einer offeneren Gesellschaft bei.
Inklusion heißt: Wir lernen, gemeinsam zu leben. Alle nach ihren Möglichkeiten. Deshalb ist die Sportgruppe mittlerweile auch für Menschen ohne Behinderungen offen. Auch das ist Inklusion. So lernen aktuell drei Kindergartenkinder in der Sportgruppe schwimmen. Die Eltern sind froh über diese Möglichkeit. Schließlich ist es zunehmend schwer, überhaupt einen Platz in einem Schwimmkurs zu bekommen. Ganz nebenbei entwickeln die Kinder jetzt mehr Empathie, Verständnis und Rücksicht, denn am Schwimmtraining nimmt auch eine blinde Person teil. So einfach und vorurteilsfrei, wie es mit den Kindern ist, funktioniert es nicht immer und überall.
Die Nordsee-Sportgruppe wünscht sich daher ein Umdenken. Je weniger einengende Schablonen und Schubladendenken es gibt, desto mehr Menschen erhalten mehr Raum zum Ausprobieren ihrer Fähig- und Möglichkeiten. So können sie auch freier herausfinden, welche Bewegungsform ihnen Freude bringt. Und vielleicht wandelt sich Freude ja auch in Leidenschaft? Seit beim Inklusionssportfest in Wilhelmshaven alle Teilnehmenden Medaillen erhalten – und eben nicht nur die Gewinner*innen –, sind die Nordsee-Sportlerinnen und -Sportler mit noch mehr Motivation dabei: „Mit einer Medaille geehrt zu werden – das macht stolz. Da kommt es schon mal vor, dass Teilnehmende noch eine Woche nach der Ehrung mit der Medaille um den Hals herumlaufen, einfach schön“, so Tjarks begeistert.
Im vergangenen Jahr nahmen Sportler*innen der AWO Nordsee-Sportgruppe gar an den Internationalen Deutschen Hallenmeisterschaften in Para-Leichtathletik teil – und schafften es allesamt aufs Treppchen in ihren jeweilig bevorzugten Disziplinen. Solche Erfolgserlebnisse setzen einen Kreislauf in Gang, von dem im Kleinen die Gruppe, im Großen aber eben auch die gesamte Gesellschaft profitieren kann. Denn ob Reha-Sport, die Deutsche Meisterschaft im Kegeln oder doch das offene Miteinander: All das kann nur funktionieren, wenn man mit Spaß dabei ist.
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