Um ein Messstellenbündel an der Mittelwasserlinie am Strand von Spiekeroog zu installieren, kam im August 2022 ein Bohrschiff zum Einsatz. (Foto: Jairo Cueto)
Oldenburg. Am Nordstrand von Spiekeroog befindet sich ein weltweit einzigartiges Observatorium, das kontinuierlich Daten über die komplexen Prozesse am Land-Meer-Übergang liefert, wenn tief im Sand Süßwasser vom Land und Salzwasser vom Meer aufeinandertreffen. Dank dieser aufwändigen Infrastruktur konnten Forschende in den vergangenen Jahren erstmals die Dynamik in größeren Tiefen detailliert erfassen und deren Auswirkungen auf das küstennahe Ökosystem sowie auf Kohlenstoff- und Nährstoffkreisläufe untersuchen. Die Infrastruktur ist Teil der Forschungsgruppe DynaDeep, die unter der Leitung der Oldenburger Hydrogeologin Prof. Dr. Gudrun Massmann Anfang 2021 gestartet ist. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben nun für weitere vier Jahre mit bis zu 4,78 Millionen Euro zuzüglich einer Programmpauschale.
„Die erneute Förderung der Forschungsgruppe durch die DFG zeigt, wie erfolgreich die Forschenden ihr wissenschaftliches und technisches Know-how verbinden, um die natürlichen und von Menschen beeinflussten Prozesse am Übergang zwischen Land und Meer genau zu beobachten und zu analysieren“, sagt Universitätspräsident Prof. Dr. Ralf Bruder.
Unter Sandstränden vermischen sich von Land abströmendes Süßwasser und infiltrierendes Salzwasser und bilden, ähnlich wie oberirdische Flussmündungen, ein subterranes Ästuar. Was hier im Verborgenen geschieht, war bisher nur wenig erforscht: Meterhohe Gezeiten und Wellen, die aufs Land treffen, machen die sogenannten Hochenergiestrände für wissenschaftliche Arbeiten schwer zugänglich. „Die technischen Ansprüche an die Forschung sind enorm“, sagt Forschungsgruppenleiterin Massmann. Das Team um die Hydrogeologin ließ daher zu Beginn des Vorhabens die einzigartige Forschungsinfrastruktur aufbauen: Ein am Strand von Spiekeroog gut sichtbarer Messpfahl wurde mit Hilfe eines Bohrschiffes errichtet. Zusätzlich wurden Grundwassermessstellen und ein geophysikalisches Beobachtungssystem für Salzwasser tief im Sand installiert. Diese zeichnen regelmäßig Größen wie Wellenhöhen, aber auch Salzgehalt, Druck und Temperatur im Grundwasser auf.
„Früher dachte man, dass an Stränden kaum biogeochemischer Umsatz stattfindet, weil der Strand hauptsächlich aus Quarzsand besteht“, sagt Massmann. Die Ergebnisse von rund 30 Messkampagnen, die kontinuierlich aufgezeichneten Daten und Studien mit mathematischen Modellen zeigen nun ein völlig anderes Bild: Durch die zweimal täglich wechselnden Gezeiten und Sturmfluten lagert sich der Sand am Strand ständig um. Ein genaues Bild hiervon haben sich die Forschenden unter anderem durch am Messpfahl befestigte Kameras und Drohnenaufnahmen gemacht.
Diese Dynamik an der Oberfläche wirkt sich bis tief in den Untergrund aus: Große Mengen Salzwasser durchströmen regelmäßig den durchlässigen Sand bis in 30 Meter Tiefe. Mikroorganismen erhalten auf diese Weise regelmäßig neue Nahrung und mit dem Wasser gelangt auch Sauerstoff in große Tiefen. Gleichzeitig strömt das sauerstofffreie landseitige Grundwasser aus der Süßwasserlinse der Insel Richtung Meer. Wenn sich diese sehr unterschiedlichen Wässer im Untergrund mischen, sind die Wechselwirkungen vielfältig.
Das Ökosystem unter dem Sand sei wie ein Reaktor, in dem komplexe geochemische und biologische Prozesse ablaufen, erklärt Massmann. In der nächsten Projektphase möchte das Team nun unter anderem herausfinden, ob und wie die auf Spiekeroog gewonnenen Ergebnisse auf andere Küsten übertragbar sind. Dafür führen die Forschende vergleichbare Untersuchungen an Stränden in Belgien und Frankreich durch.
„Die Umsätze von Elementen wie Kohlenstoff oder Stickstoff in Sandstränden sind bislang nicht Teil globaler Modelle zu Stoffkreisläufen“, sagt Massmann. Die Forschung des Teams soll dazu beitragen herauszufinden, ob Sandstrände künftig in solchen Modellen berücksichtigt werden sollten.
An dem Vorhaben DynaDeep („The Dynamic Deep Subsurface of High-Energy Beaches“) sind neben Massmanns Arbeitsgruppe vom Institut für Biologie und Umweltwissenschaften (IBU) vor allem Forschende des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität beteiligt. Hinzu kommen Partner des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, des Leibniz-Instituts für Angewandte Geophysik in Hannover, des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung in Bremen sowie der Universität Kiel. Das Team wird von einem Netzwerk von Kooperationspartnern und lokalen Akteuren unterstützt, darunter das Nationalpark-Haus Wittbülten auf Spiekeroog, die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer (NLPV), die Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) und die Gemeinde Spiekeroog.