Preisträgerin Anne Applebaum mit Oberbürgermeister Jürgen Krogmann. (Foto: Izabella Mittwollen)
Oldenburg. Die Stadt Oldenburg hat die Historikerin, Journalistin und Publizistin Anne Applebaum am Donnerstagabend, 6. Juni, mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik 2024 ausgezeichnet. Die US-Amerikanerin, die auch die polnische Staatsbürgerschaft besitzt, erhielt den mit 10.000 Euro dotierten Preis für ihre publizistischen Arbeiten, in denen sie sich engagiert zu aktuellen politischen Themen äußert: Applebaum liefert sowohl Hintergründe als auch Erkenntnisse, die für das Verständnis des politischen und wirtschaftlichen Klimas in der Welt von entscheidender Bedeutung sind. Die Gefahren der gegenwärtigen Zersetzung der Demokratie von innen heraus aus der politischen Mitte, die sich rechtspopulistisch radikalisiert und radikalisieren lässt, ist dabei eines der zentralen Themen Applebaums.
Applebaum: Die Stimmen hörbar machen, die für Menschenrechte eintreten
Sie fühle sich geehrt, den Preis im Namen Carl von Ossietzkys zu erhalten, so Applebaum in ihrer Dankesrede – eines Journalisten, der Geschichte geschrieben hat, in einer Zeit des Militarismus und der Kriegsverherrlichung. „Einmal mehr bedroht heute ein Krieg nicht nur die Ukraine, sondern Deutschland, Europa und die Welt. Einmal mehr ist die Verherrlichung von Militär und Krieg zurückgekehrt. Sie dominiert das heutige Russland auf eine Weise, die Ossietzky bekannt vorkäme.“ Umso wichtiger sei es, diejenigen Stimmen zu Wort kommen zu lassen, die ein anderes Russland fordern – diejenigen, die für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte eintreten.
Oberbürgermeister Krogmann: Nicht einschüchtern lassen von Hass und Hetze
Im Rahmen des Festaktes im Oldenburger Kulturzentrum PFL betonte Oberbürgermeister Jürgen Krogmann das Potential eines solchen kenntnisreichen Journalismus: „Wir erleben eine Zeit, die uns sehr in Atem hält. Gesellschaftliche und politische Konflikte heizen sich auf, Anfeindungen und Gewalt nehmen zu, in Deutschland und in unseren Nachbarländern. Wo ist der Raum für konstruktive, respektvolle Diskussionen geblieben? Was könnte uns helfen, ihn wieder zu beleben? Eine wesentliche Voraussetzung: Guter, faktenbasierter Journalismus. Journalistinnen und Journalisten, die sich nicht einschüchtern lassen von Hass, Hetze und Gewalt. Die sich nicht mit einer Sache gemein machen, sondern objektiv berichten, einordnen und kommentieren.“
So würdigt auch die Jury Applebaums fachliche und journalistische Expertise, mit der sie sich mutig und mahnend für Demokratie und Menschenrechte in globaler Perspektive einsetze. „Anne Applebaum zählt als Publizistin und Zeithistorikerin zu den wichtigsten intellektuellen Stimmen der Gegenwart“, schreiben die Jurorinnen und Juroren in der Begründung. Der Jury gehören an: die Historikerin Professorin Dr. Dagmar Freist (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), der Journalist und frühere Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein Friedrich-Wilhelm Kramer (Hamburg), der Journalist und ehemalige Tagesthemen-Moderator Thomas Roth (Berlin), die Journalistin und Autorin Shelly Kupferberg (Berlin) sowie der Historiker Professor Dr. Martin Sabrow (Potsdam), Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.
Laudatorin Julia Encke über Applebaums Grundoptimismus
Die Laudatio auf Anne Applebaum hielt Julia Encke, Journalistin, Literaturwissenschaftlerin und verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In ihrer eindrucksvollen Rede zeichnete sie einige Positionen Applebaums nach und suchte nach dem Kern ihrer Motivation und ihres Optimismus – trotz Trump, PiS, Putin und den aktuellen politischen Herausforderungen. „Sie ruht sich nicht aus. Lässt nicht locker. Macht weiter. Dabei ist der ihr eigene Grundoptimismus ihr Motor: Wenn Anne Applebaum die Demokratie verteidigt, dann tut sie das tatsächlich, indem sie in ihren Analysen einen Horizont aufreißt, wo andere keinen mehr sehen.“ Dass sich der Kampf lohne, zeigten einerseits die letzten Wahlen in Polen, die eine breite Koalition aus liberalkonservativen und linken Parteien hervorgebracht haben – dass der Weg allerdings noch lang ist, macht andererseits ihr kommendes Buch deutlich: „Man sieht die ‚Verlockungen des Autoritären‘ überall in Europa“, so Encke.
Zur Person Anne Applebaum
Im Rahmen ihrer journalistischen Tätigkeit untersucht Anne Applebaum die Herausforderungen und Chancen des globalen politischen und wirtschaftlichen Wandels aus der Perspektive der Weltgeschichte und der zeitgenössischen politischen Landschaft. Sie ist als Kolumnistin, politische Redakteurin und Auslandskorrespondentin tätig und hält Gastvorträge an Universitäten in den USA und Europa. Als Buchautorin beschäftigt sie sich mit Geschichte und Politik Osteuropas, so dem Zerfall der Sowjetunion und der Entwicklung osteuropäischer Staaten nach Ende des Kalten Krieges. 2004 wurde sie für ihre detaillierte Studie „Der Gulag“ über das Arbeits- und Straflagersystem in der Sowjetunion mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Ende Juli erscheint in den USA ihr neues Buch „Autocracy Inc. The Dictators Who Want to Run the World“ (auf Deutsch „Die Achse der Autokraten”, Erscheinungstermin 30. Oktober), in dem sie aktuelle autokratische Netzwerke aufdeckt, die die Demokratie zu untergraben versuchen.
Zum Carl-von-Ossietzky-Preis
Der Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik wird bereits seit 1984 jeweils alle zwei Jahre von der Stadt Oldenburg in Erinnerung an den Namenspatron verliehen. Ausgezeichnet werden Personen, einzelne Arbeiten oder Gesamtwerke, die sich mit Leben und Werk Ossietzkys oder die sich mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus auseinandersetzen. Der Preis kann auch für Arbeiten oder Personen zuerkannt werden, die sich im Geiste Carl von Ossietzkys mit der demokratischen Tradition und Gegenwart in Deutschland oder mit Themen der Politik und Zeitgeschichte befassen. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.ossietzky-preis.de.