Oldenburg. Oberbürgermeister Jürgen Krogmann plädiert dafür, das Edith-Russ-Haus für Medienkunst umzubenennen. „Aus meiner Sicht ist es für eine städtische Kultureinrichtung nicht mehr tragbar, den Namen Edith Ruß im Titel zu verwenden“, sagt Krogmann. Namensgeberin und Stifterin Edith Ruß hatte nach 1945 ihre NSDAP-Mitgliedschaft stets geleugnet. Das haben die Recherchen der unabhängigen Historiker Dr. Mareike Witkowski und Dr. Joachim Tautz ergeben, die im Auftrag der Stadt Oldenburg die Rolle von Edith Ruß während der Zeit des Nationalsozialismus wissenschaftlich untersucht haben. Für Krogmann stellt das nachgewiesene Verschweigen der Parteimitgliedschaft einen „Vertrauensbruch“ dar.
Keine Selbstkritik bei Edith Ruß
Die beiden Wissenschaftler belegen in ihrem Gutachten, dass Edith Ruß seit dem 1. Januar 1941 der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 8346788 angehörte. Den Antrag auf Aufnahme hatte sie am 21. November 1940 gestellt. Nach Kriegsende hatte sie ihre NSDAP-Mitgliedschaft indes geleugnet. Witkowski und Tautz haben keine Hinweise darauf gefunden, dass sich Edith Ruß selbstkritisch mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat. Im Entnazifizierungsverfahren, dem sich Ruß zu Beginn der 1950er Jahre stellen musste, verneinte sie ihre Parteimitgliedschaft und wurde schließlich als „unbelastet“ eingestuft. Auch in ihren späten Lebensjahren habe Edith Ruß angegeben, „nicht NS-belastet“ oder „nicht Mitglied der NSDAP“ gewesen zu sein, heißt es in dem Gutachten. An dieser Unwahrheit habe sie ihr Leben lang festgehalten.
Name ist eine Belastung für das Medienkunst-Haus
Die am 22. Januar 1919 geborene Oldenburger Mäzenin hatte nach ihrem Tod im Juli 1993 der Stadt Oldenburg ihr gesamtes Vermögen, fast zwei Millionen D-Mark, vermacht. Durch ihren Nachlass konnte das im Jahr 2000 in der Katharinenstraße eröffnete Edith-Russ-Haus entstehen. Die Namensnennung war im Testament verfügt worden. Aus Krogmanns Sicht ist die Debatte um die NS-Verstrickung der Namensgeberin für das Edith-Russ-Haus für Medienkunst zu einer nicht länger hinnehmbaren Belastung geworden. In Gesprächen mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Sponsoren und Kooperationspartnern sei eine spürbare Distanz und der Wunsch nach einer Namensänderung für das Ausstellungshaus deutlich geworden. Angesichts der Ergebnisse der gutachterlichen Auswertung aller verfügbaren Quellen werde er den Ratsgremien einen Verzicht auf Nennung von Edith Ruß im Titel des Hauses vorschlagen, kündigt der Oberbürgermeister und Kulturdezernent an.
Im NS-Pressewesen als Journalistin aktiv
Dr. Mareike Witkowski und Dr. Joachim Tautz haben in ihrer Untersuchung insbesondere die Artikel, die Edith Ruß als Journalistin für unterschiedliche Zeitungen im NS-Pressewesen zwischen 1939 und 1945 verfasst hatte, unter die Lupe genommen. Ruß hatte vom 1. April 1939 bis zum 1. Oktober 1940 bei den „Oldenburger Nachrichten für Stadt und Land“ gearbeitet und dort ihr Volontariat absolviert. Nach Zwischenstationen bei der Frauenzeitschrift „Hella“ in Berlin und der Wochenzeitung „Schlesische Wochenpost“ in Breslau war sie nach Oldenburg zurückgekehrt, um von Juli 1943 bis Mai 1945 die Leitung des Feuilletons der „Oldenburgischen Staatszeitung“ zu übernehmen. In dieser Zeit hat sie insgesamt 106 Artikel veröffentlicht, darunter sind 37 Filmbesprechungen und 33 Theaterrezensionen.
Keine fanatische Nationalsozialistin
In Edith Ruß‘ Artikeln findet sich laut Witkowski und Tautz „Gedankengut, das sich als völkisch und nationalistisch einordnen lässt“. Ein direkter Schluss, dass das von ihr dargestellte Gedankengut der Aufführungen und Filme auch ihrem eigenen entsprach, sei durchaus möglich, lasse sich aber ohne weitere „Ego-Dokumente“ weder nachweisen noch widerlegen. Antisemitische oder rassistische Aussagen habe Edith Ruß in ihren Texten nicht getätigt. Edith Ruß könne anhand der von ihr überlieferten Artikel weder (wie in einem Zeitungsbericht im Februar dieses Jahres geschehen) als „fanatische Nationalsozialistin“ eingeordnet werden, noch habe sie sich ihre „Unabhängigkeit bis zum Schluss“ bewahrt, wie es in einer im Jahr 2000 veröffentlichten Biographie heißt. Die journalistische Arbeit von Edith Ruß charakterisieren die Historiker als einen „Beitrag zur Normalisierung und Stabilisierung des NS-Regimes – wenn auch auf einer untergeordneten Ebene“.
Ruß-Vermögen ohne Zusammenhang mit NS-Regime
Auch zu dem in den Raum gestellten Vorwurf, die Stifterin Edith Ruß habe ihr Vermögen durch Vorteilsnahme aufgrund von Verbindungen mit dem NS-Regime aufbauen können, haben die beiden Historiker recherchiert. Diesbezüglich haben sie allerdings keine Hinweise gefunden und halten diese Vorwürfe für nicht haltbar.
Auch die Rolle von Elisabeth Brand beleuchtet
Im Zuge des öffentlichen Diskurses um Edith Ruß ist auch die zweite Stifterin für das Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Elisabeth Brand (1898-1993), in den Fokus der Untersuchung gerückt. Die Stadtverwaltung hat Dr. Mareike Witkowski und Dr. Joachim Tautz zusätzlich damit beauftragt, die Person von Elisabeth Brand und ihre Rolle im Nationalsozialismus zu beleuchten. Diese Recherchen haben ergeben, dass Brand bereits am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten war. Sie war seit Februar 1934 Mitglied der NS-Frauenschaft Varel und als Propagandaleiterin sowie Ortsgruppenkassenwalterin aktiv. Nach ihrem Umzug nach Oldenburg übernahm sie in der NS-Frauenschaft das Amt der Blockwalterin. Darüber hinaus gehörte sie noch mehreren anderen NS-Organisationen an. Elisabeth Brand arbeitete während der NS-Zeit an unterschiedlichen Schulen als Lehrerin und später auch als Schulleiterin. 1946 wurde sie aufgrund ihrer Parteimitgliedschaft und ihrer Ämter aus dem Schuldienst entfernt, später aber wiedereingestellt. Im Entnazifizierungsverfahren wurde sie 1948 als „entlastet“ eingestuft.
Untersuchungen werden online gestellt
Sobald die wissenschaftlichen Untersuchungen zu Edith Ruß und Elisabeth Brand in der endgültigen Fassung vorliegen, werden sie auf der Website der Stadt Oldenburg online gestellt.
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