Oldenburg. Radiowellen von Hörfunk, CB-Funk und Fernsehen können den Magnetkompass von Zugvögeln stören, für den Mobilfunk genutzte Frequenzen hingegen nicht. Sie liegen oberhalb der Frequenz, die den Orientierungssinn der Tiere beeinflussen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die ein Team um den Oldenburger Biologen Prof. Dr. Henrik Mouritsen und Prof. Dr. Peter Hore von der University of Oxford (Großbritannien) kürzlich im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) veröffentlicht hat. Zugleich liefert das Resultat weitere starke Indizien für die Theorie der Forschenden, dass der Magnetsinn auf einem quantenmechanischen Effekt beruht, der sich im Auge der Vögel abspielt. Für die aktuelle Untersuchung kombinierte das Team Verhaltensexperimente und komplexe quantenmechanische Berechnungen auf einem Supercomputer.
Bereits 2014 wiesen Mouritsen und Hore gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen nach, dass Elektrosmog im Radiowellenbereich, wie ihn etwa Elektrogeräte im Haushalt verursachen, die Orientierung von Zugvögeln am Erdmagnetfeld stört. Sie gehen davon aus, dass der schwache und für Menschen unbedenkliche Elektrosmog die komplizierten quantenphysikalischen Prozesse in bestimmten Netzhautzellen der Zugvögel beeinflusst, die ihnen eine Navigation mithilfe des vergleichsweise schwachen Erdmagnetfelds ermöglichen. Noch ist jedoch unklar, ob Elektrosmog auch frei fliegende Vögel beeinträchtigt, etwa Langstreckenzieher, deren Bestände seit einiger Zeit aus noch ungeklärter Ursache abnehmen.
In der aktuellen Studie gehen die Forschenden dem Zusammenhang zwischen dem vermuteten quantenmechanischen Mechanismus und dessen Störung durch Radiowellen genauer auf den Grund. Ihr Ziel war es, weitere Belege für die Funktionsweise des Magnetkompasses zu finden und damit eine Grundlage für weitere Untersuchungen der Störeffekte auf das Migrationsverhalten der Vögel zu liefern. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand dabei die Grenzfrequenz, oberhalb derer die Navigation von Zugvögeln unbeeinträchtigt bleibt. Denn dieser Wert erlaubt Rückschlüsse auf die Eigenschaften des eigentlichen Magnetsensors. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein lichtempfindliches Eiweiß namens Cryptochrom 4, das die passenden magnetischen Eigenschaften hat.
Ersten theoretischen Überlegungen zufolge sollte die Grenzfrequenz im UKW-Bereich zwischen 120 und 220 Megahertz liegen. Das Team testete daher anhand von Verhaltensexperimenten mit Mönchsgrasmücken verschiedene Frequenzbänder. In einer 2022 veröffentlichten Studie hatten die Forschenden bereits nachgewiesen, dass Radiowellen zwischen 75 bis 85 Megahertz den Magnetkompass der kleinen Singvögel tatsächlich stören. Mönchsgrasmücken sind Lang- und Mittelstreckenzieher, die bei ihrer jährlichen Migration teils große Strecken zurücklegen. Sobald sie den Radiowellen nicht mehr ausgesetzt sind, funktioniert ihr Magnetsinn wieder.
In der aktuellen Studie untersuchte das Team um Mouritsen und Hore sowie die beiden Hauptautoren – der Biologe Bo Leberecht und die Chemikerin Siu Ying Wong, beide von der Universität Oldenburg – Frequenzen zwischen 140 und 150 Megahertz sowie zwischen 235 und 245 Megahertz. Das Ergebnis: In beiden Fällen beeinträchtigten die Radiowellen den Magnetsinn nicht – was die theoretische Vorhersage bestätigte.
Die Forschenden führten außerdem Modellrechnungen durch, in denen sie die quantenmechanischen Vorgänge innerhalb des Cryptochrom-Proteins simulierten. Durch diese Berechnungen konnten sie die Grenzfrequenz noch genauer eingrenzen. Sie liegt demnach bei 116 Megahertz: Radiowellen mit einer höheren Frequenz haben den Berechnungen zufolge nur schwache Auswirkungen auf die Orientierung der Vögel – ein Ergebnis, das mit denen der Experimente übereinstimmt. „Die Verhaltensexperimente und die Computersimulationen liefern gemeinsam einen weiteren starken Hinweis darauf, dass die Magnetwahrnehmung auf dem von uns vermuteten quantenmechanischen Mechanismus beruht und nicht auf einem völlig anderen Prozess, etwa magnetischen Nanopartikeln“, resümiert Mouritsen.
Das bessere Verständnis der Magnetorientierung ist für den besseren Schutz von Zugvögeln wichtig – um etwa nachzuvollziehen, welche Art von elektromagnetischer Strahlung die Tiere vom Kurs abbringt und daher zum Beispiel in Naturschutzgebieten, in denen Zugvögel rasten, vermieden werden sollte. Während Radiowellen, die für Hörfunk, Fernsehen oder CB-Funk verwendet werden, dabei eine entscheidende Rolle spielen, beeinträchtige Mobilfunk den Magnetsinn dagegen nicht, betont Mouritsen: „Die dafür genutzten Frequenzen liegen alle oberhalb der relevanten Schwelle.“
Die Forschung ist ein Ergebnis des Sonderforschungsbereichs „Magnetrezeption und Navigation in Vertebraten: von der Biophysik zu Gehirn und Verhalten“, dessen Sprecher Mouritsen ist. Zu dem großen, internationalen Team gehören Forschende aus Disziplinen wie Neurobiologie, Quantenphysik, Biochemie, Computer-Modellierung und Verhaltensbiologie. Neben der Universität Oldenburg sind das Institut für Vogelforschung „Vogelwarte Helgoland“ (IfV) in Wilhelmshaven, die Freie Universität Berlin, die Universität Bochum und das Weizmann Institute of Science in Rehovot (Israel) beteiligt. Drei Forschende von der University of Oxford (Großbritannien) sind dem SFB als Mercator Fellows angeschlossen.
Originalveröffentlichung: Bo Leberecht et al: „Upper bound for broadband radiofrequency field disruption of magnetic compass orientation in night-migratory songbirds”, Proceedings of the National Academy of Sciences Bd. 120, Nr. 28, doi.org/10.1073/pnas.2301153120
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