Bad Zwischenahn. Rückenschmerzen, wer kennt sie nicht. Allein in Deutschland leiden rund 25 Prozent der Frauen und 17 Prozent der Männer unter chronischen Rückenschmerzen. Die Muskel-Skeletterkrankungen gehören zu den teuersten Erkrankungen in den Industrieländern. Hohe indirekte Kosten entstehen insbesondere durch den Ausfall der Arbeitsleistung der Patienten. Ebenso sind Rückenschmerzen die zweithäufigste Ursache vorzeitiger Berentung.
Hier setzte im Jahr 2019 das Projekt „Multimodale Schmerztherapie mit Rückfallprophylaxe“ im Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn an – gefördert durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses mit rund drei Millionen Euro. Das Projekt richtete sich über einen Zeitraum von drei Jahren an Menschen in der Region im Nordwesten, die sich mit Rückenschmerzen plagten.
„Unser Ziel war es, die oft unzureichende Regelversorgung der Patienten durch eine multidisziplinäre Behandlung mit Berücksichtigung psychosozialer Faktoren auszugleichen und das hohe Rückfallrisiko durch bisher fehlende interdisziplinär-strukturierte Betreuung zu minimieren“, sagte Dr. Norbert Hemken, Geschäftsführer und Kurdirektor. Das bedeute: Verkürzung von Arbeitsunfähigkeitstagen, Reduzierung von Krankengeldzahlungen, Vermeidung einer Chronifizierung des Schmerzes und Senkung des Risikos für Rückfälle nach erfolgter Multimodaler Schmerztherapie.
Durchgeführt wurde die vierwöchige Schmerztherapie ambulant im Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn an jeweils vier oder fünf Werktagen. In der bisherigen einjährigen Phase der Rückfallprophylaxe begleiteten die Physiotherapeuten ihre Patienten zusätzlich über die medizinische Herodikos-App. Als digitales Trainingsprogramm und Bewegungstagebuch gab die App Übungsanleitungen, vermittelte Wissen für einen gesunden Rücken, erinnerte an anstehende Trainings und digitalisierte den Kontakt mit dem Therapeuten.
Bereits während der Schmerztherapie wurde auf eine eigenständige, sportlich-aktive und damit rückengesunde Lebensführung hingewirkt. Die Arbeitsfähigkeit stand im Zentrum des gesamten Modells.
Die Projektleitung lag bei der AOK Niedersachsen, weitere Partner waren die Träger der Deutschen Rentenversicherung und die Herodikos GmbH. Begleitet wurde die Phase der Rückfallprophylaxe seit 2019 mit einer Evaluation von Prof. Dr. rer. pol. Christian Krauth und seinem Team vom Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung an der Medizinischen Hochschule Hannover.
Insgesamt haben seit dem Jahr 2019 297 Patienten erfolgreich an der Multimodalen Schmerztherapie teilgenommen. Nach der dreijährigen Projektphase geht die Zusammenarbeit zwischen der AOK Niedersachsen und dem Reha-Zentrum am Meer jetzt weiter. „Wir haben es in drei Jahren mit starken Partnern geschafft, ein ausgefeiltes Konzept für ein ‚Multimodales Schmerzzentrum‘ zu etablieren“, sagte Dr. Norbert Hemken. Jetzt komme es darauf an, aus den bisherigen Ergebnissen weiter zu lernen und innovative Ansätze voranzutreiben – für die zahlreich betroffenen Menschen in unserer Region.
Stimmen der Teilnehmer:
Jan Seeger, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Niedersachsen
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit. Gemeinsam mit dem Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn haben wir eine Anschlussvereinbarung zur Multimodalen Schmerztherapie geschlossen, um die Versorgungsqualität unserer Versicherten zu erhöhen.
Dr. Werner Runde, Leitender Arzt Ambulantes Reha-Zentrum am Meer
Die Multimodale Schmerztherapie basiert auf dem Grundsatz, dass chronifizierende Schmerzen meist nicht allein auf eine Ursache zurückzuführen sind, sondern dass mehrere Faktoren das Schmerzerleben beeinflussen. Es geht dabei also um eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die die strukturellen und funktionellen Faktoren genauso berücksichtigt wie die sozialen und psychologischen. Dementsprechend muss auch die Therapie interdisziplinär und multimodal sein. Dieses Konzept setzen wir in unserem Modell konsequent um.
Julia Schmetsdorf (M. Sc.), Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover
Mit unserer Studie haben wir die Effekte der zwölfmonatigen Phase der Rückfallprophylaxe auf Prozesse, Kosten und patientenrelevante Ergebnisse untersucht. Während die Arbeitsunfähigkeitszeiten und Kosten im Vergleich zur üblichen Versorgung durch diese Phase nicht verringert wurden, konnten eine erhöhte Zufriedenheit und Lebensqualität sowie weniger Einschränkungen im Alltag der Patienten durch Rückenschmerzen nachgewiesen werden.
Christian Wübbeling, Geschäftsführer Herodikos GmbH
Das MMS-Projekt war seinerzeit eines der ersten Einsatzgebiete unserer Herodikos-App. Im Projekt zeigte sich: Digitale Therapieunterstützung ist angesichts des fortschreitenden Fachkräftemangels ein wichtiger Baustein für unsere Gesundheitsversorgung. Unsere heutige ambulante Versorgung „Herodikos plus”, in der Physiotherapeuten ihre Patienten mittels Videosprechstunden begleiten, berücksichtigt bereits die gewonnenen Erkenntnisse.