Speere und Wurfhölzer von der Fundstelle Schöningen wurden für die Jagd auf Groß‐ und Kleinwild verwendet (Fragmente wurden zeichnerisch ergänzt).
(Foto: Volker Minkus/MINKUSIMAGES, Christa Fuchs, Matthias Vogel; Grafik: Dirk Leder, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege)

Schöningen. Bei archäologischen Ausgrabungen im Braunkohletagebau Schöningen sorgte ab 1994 die Entdeckung der ältesten vollständig erhaltenen Jagdwaffen der Menschheit für internationales Aufsehen. Speere und ein Wurfholz lagen zwischen Tierknochen in ehemaligen Seeuferablagerung etwa zehn Meter unter der Geländeoberfläche. In den Folgejahren lieferten umfangreiche Ausgrabungen nach und nach zahlreiche Hölzer aus der Schicht einer ausgehenden Warmzeit vor 300.000 Jahren. Der Befund sprach für einen Jagdplatz am Seeufer. Nun hat ein interdisziplinäres Forschungsteam des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege (NLD) und der Universitäten Göttingen und Reading (Großbritannien) erstmals alle Hölzer untersucht. Dabei brachten modernste bildgebende Verfahren wie 3D‐Mikroskopie und Mikro‐CT‐Scanner überraschende Ergebnisse hervor. Die Studie wurde in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.


Die Forschenden konnten an den Hölzern erstmals neue Formen der Bearbeitung nachweisen, wie die Spalttechnik. Kleine Spalthölzer wurden zugespitzt, etwa um sie zur Verarbeitung von Jagdbeute zu nutzen.
Erstautor Dr. Dirk Leder vom NLD stellt fest: »Es lässt sich eine deutlich umfangreichere und vielfältigere
Bearbeitung von Fichten‐ und Kiefernhölzer nachweisen als bislang gedacht. Ausgewählte Holzstämme wurden zu Speeren und Wurfhölzern verarbeitet und zum Fundplatz mitgebracht, während unbrauchbare Geräte vor Ort repariert und recycelt wurden.« Mindestens 20 Speere und Wurfhölzer wurden am Seeufer zurückgelassen. Damit verdoppelt sich die Zahl der bekannten Holzwaffen der Fundstelle.

Restauratorin Anna‐Laura Krogmeier und Dr. Tim Koddenberg bei der Untersuchung eines Holzspeeres im Forschungsmuseum Schöningen.
(Foto: Jens Lehmann, Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege)

Dr. Tim Koddenberg von der Universität Göttingen erklärt: „Der erstaunlich gute Erhaltungszustand der Schöninger Hölzer ermöglicht es uns erstmals, die Holzbearbeitungstechniken mit modernsten Mikroskopieverfahren detailliert zu dokumentieren und zu identifizieren.“

Das breite Spektrum an eingesetzten Bearbeitungstechniken sowie die unterschiedlichen Waffen und Geräte des frühen Menschen zeigen die herausragende Bedeutung des Rohstoffes Holz, der sonst so gut wie nie aus dieser Epoche erhalten ist. Die Schöninger Funde zeugen von einer langen Erfahrung in der Holzbearbeitung, technischem Know‐how und von komplexen Arbeitsvorgängen. Projektleiter Prof. Dr. Thomas Terberger (NLD und Universität Göttingen) stellt fest: „Holz war ein entscheidender Rohstoff für die menschliche Evolution, der jedoch nur in Schöningen so qualitätsvoll aus der Altsteinzeit überliefert ist.“
Schöningen gehört daher zum international herausragenden Kulturerbe des frühen Menschen. Erst kürzlich wurde die Fundstelle auf Antrag des Landes Niedersachsen in die Nominierungsliste für das UNESCO‐Weltkulturerbe aufgenommen.

Wurfholz unter dem 3D‐Mikroskop: So lassen sich Bearbeitungsdetails in hoher Auflösung dokumentieren.
(Foto: Tim Koddenberg, Universität Göttingen)


Die Studie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert.


Publikation:
Dirk Leder et al.: The wooden artifacts from Schöningen’s Spear Horizon and their place in human evolution (2024). DOI: 10.1073/pnas.2320484121.

Mikroskopische Detailaufnahme einer Holzwaffe: Deutlich erkennbar sind Holzausbrüche, die durch ein Schneidewerkzeug verursacht wurden. Die Farben zeigen Höhenunterschiede von insgesamt 2,6 Millimetern: Blau kennzeichnet den niedrigsten Punkt und Rot den höchsten.
(Foto: Tim Koddenberg, Universität Göttingen
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